Ein Schulweg jenseits des Üblichen: Wie eine Familie den eigenen Bildungsweg geht
Die Entscheidung für eine freie Schule war bewusst gefallen, doch mit der Einführung der Corona-Testpflicht stand eine Mutter plötzlich vor einer grundlegenden Entscheidung. Ihr Sohn, damals in der zweiten Klasse, hatte anfangs noch die Wahlfreiheit. Als die Tests jedoch verpflichtend wurden und der Junge sich gegen einen Test entschied, folgte ein Schulbetretungsverbot. Dies war der Wendepunkt, der dazu führte, dass die Mutter ihr Kind noch vor Ostern 2021 von der Schule nahm. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie mit der pädagogischen Arbeit der Einrichtung äußerst zufrieden gewesen, ein Kontakt, der bis heute positiv und konstruktiv besteht.
Die Haltung der freien Schule im Spannungsfeld
Interessant ist die Position der Schule selbst. Der Trägerverein und der Vorstand stehen hinter den behördlichen Maßnahmen, obwohl das pädagogische Fundament der Schule eigentlich darauf ausgerichtet ist, dass jede Entscheidung zum Wohle des Kindes getroffen wird. Der Leitgedanke, die Persönlichkeit des Kindes als etwas zu betrachten, das sich frei entfalten soll und nicht formbar ist, schien in diesem Moment mit der Realität der Pandemie-Vorgaben zu kollidieren. Dieser Widerspruch war für die Familie letztlich nicht mehr tragbar.

Vom Schulmaterial zum Freilernen: Ein neuer Alltag entsteht
Nach dem Ausscheiden aus der Schule erhielt die Mutter zunächst weiterhin Unterrichtsmaterial, da zu diesem Zeitpunkt keine Präsenzpflicht bestand. Mit der Wiedereinführung der Anwesenheitspflicht endete jedoch auch diese Unterstützung. Anstatt nun klassischen Homeschooling-Betrieb mit festem Stundenplan zu etablieren, entschied sich die Familie für das sogenannte Freilernen. Dieses Konzept, das der Philosophie der freien Schule sehr nahesteht, überträgt die Entscheidungsfreiheit der Kinder auf das Lernen zu Hause.
Die Mutter versteht sich dabei weniger als Lehrerin, sondern vielmehr als Begleiterin, die die natürlichen Lernfortschritte ihres Sohnes beobachtet und darauf aufbauend Impulse setzt. Sie knüpft an seinen aktuellen Interessen und seinem Wissensstand an. Ein zentraler und manchmal herausfordernder Grundsatz ist es, akzeptieren zu müssen, wenn das Kind signalisiert, dass es genug gelernt hat. Dieser Verzicht auf Leistungsdruck war schließlich einer der Hauptgründe für die ursprüngliche Anmeldung an der freien Schule gewesen.
Ein typischer Tag beim Freilernen
Der Alltag zu Hause ist bewusst nicht durch klingelnde Schulklingeln strukturiert. Gegen acht Uhr, wenn der kleine Bruder in den Waldkindergarten gebracht wird, beginnt für den Sohn eine ruhige Lernphase. Er liest vielleicht in einem Buch oder beschäftigt sich mit Rechenaufgaben. Aktuell sind Was-ist-Was-Tonies über Dinosaurier seine große Leidenschaft. Wenn die Mutter gegen halb neun zurückkommt, startet die gemeinsame Zeit, die dem Lernen gewidmet ist. Wie in der freien Schule üblich, werden alle Aktivitäten und Fortschritte dokumentiert. Aus diesen Aufzeichnungen werden dann neue, kindgerechte Ziele abgeleitet – in diesem Jahr ist das große Ziel, lesen zu lernen.

Soziale Kontakte und kreative Lösungen
Anfangs litten die sozialen Kontakte des Jungen unter der neuen Situation. Durch die Eigeninitiative der Eltern und den Austausch mit anderen Familien entstanden jedoch schnell kleine, inoffizielle Lerngruppen. Diese setzen sich sowohl aus Kindern zusammen, die zu Hause unterrichtet werden, als auch aus solchen, die reguläre Schulen besuchen. Durch den engen Kontakt zur Gruppenleiterin der freien Schule erhält die Mutter sogar spezielles Lernmaterial für diese Treffen. Der Vorteil der kleinen Gruppen liegt auf der Hand: Konflikte können schneller und direkter gelöst werden, und die Betreuung ist sehr intensiv.
Lernen, wenn es passt: Die Flexibilität des Freilernens
Ein zentrales Merkmal dieses Lebens- und Lernmodells ist die immense Flexibilität. Ein strikter Lehrplan ist nicht vorgesehen. Wenn der Sohn zwei Wochen lang leidenschaftlich gern Hanpan, ein Tastinstrument, spielen möchte, wird daraus kurzerhand der Musikunterricht. Es werden dann die einzelnen Töne erkannt und benannt, die Tonleiter geübt und das Notenlesen spielerisch erlernt. Auf diese Weise verschwimmen die Grenzen zwischen Spielen und Lernen auf natürliche Weise. Auch die Mutter findet in diesem flexiblen Rahmen ihre eigenen Freiräume, die sich von Tag zu Tag individuell gestalten. Die Familie hat sich für einen Bildungsweg entschieden, der konsequent die Bedürfnisse und den Rhythmus des Kindes in den Mittelpunkt stellt.




