WLAN-Sensing: Die unsichtbare WLAN-Überwachung
Wenn der Router zum Spion wird
In unseren Häusern und Wohnungen hat sich ein stiller Beobachter eingenistet – einer, den wir selbst installiert und bezahlt haben. Der WLAN-Router, einst reines Verbindungsgerät zum Internet, hat sich zu einem hochsensiblen Sensor entwickelt, der unsere intimsten Gewohnheiten protokollieren kann. WLAN-Sensing, auch bekannt als WiFi Sensing, nutzt die allgegenwärtigen Funkwellen unserer drahtlosen Netzwerke, um Bewegungen, Atemmuster und sogar Herzschläge zu erfassen – und das durch Wände hindurch.
Was als vielversprechende Technologie für die Gesundheitsüberwachung und Smart-Home-Anwendungen begann, entwickelt sich zunehmend zu einem Albtraum für den Datenschutz. Während die meisten Nutzer ahnungslos surfen, analysieren Algorithmen im Hintergrund ihre Bewegungsprofile mit einer Präzision, die selbst professionelle Überwachungskameras in den Schatten stellt.
Die Technologie hinter dem unsichtbaren Spion
- Wie aus Funkwellen Bewegungsprofile werden
Das Prinzip von WLAN-Sensing basiert auf der Analyse von Channel State Information (CSI), einer detaillierten Beschreibung, wie WLAN-Signale sich im Raum ausbreiten. Jede Bewegung – sei es ein Atemzug, ein Schritt oder eine Handgeste – verändert minimal die Eigenschaften dieser Signale. Moderne Algorithmen, oft gestützt auf künstliche Intelligenz, können aus diesen winzigen Veränderungen erstaunlich präzise Rückschlüsse ziehen 1.
Besonders beunruhigend: Die Technologie benötigt keine speziellen Geräte. Die in Millionen Haushalten vorhandenen Standardrouter mit 802.11n/ac/ax-Technologie liefern bereits alle notwendigen Daten. Durch die Kombination mehrerer Antennen (MIMO-Technologie) und die Analyse verschiedener Frequenzbänder lassen sich Bewegungen auf wenige Zentimeter genau lokalisieren.
- Von der Sturzerkennung zum gläsernen Menschen
Ursprünglich wurde WLAN-Sensing für edle Zwecke entwickelt: Ältere Menschen sollten länger selbstständig in ihren Wohnungen leben können, mit automatischer Sturzerkennung als Sicherheitsnetz. Doch wie so oft in der Technologiegeschichte hat sich der Anwendungsbereich rasch erweitert.
Heute protokollieren Systeme nicht nur grobe Bewegungen, sondern erfassen feinste Details:
- Atemfrequenz und Schlafmuster (auch durch Wände hindurch)
- Anzahl der Personen in einem Raum und deren ungefähre Position
- Unterschiedliche Gangmuster, die zur Identifikation von Individuen genutzt werden können
- Selbst emotionale Zustände lassen sich über charakteristische Bewegungsmuster ableiten
Die dunkle Seite der bequemen Technologie
- Die kommerzielle Ausbeutung intimster Daten
Während Hersteller die Vorteile von WLAN-Sensing betonen – Komfort, Sicherheit, Energieeffizienz –, zeigen Patentanmeldungen und interne Dokumente ein anderes Bild. Tech-Giganten sehen in der Technologie vor allem ein neues Werkzeug für zielgenaues Marketing und Verhaltensanalyse.
Amazon hat Systeme patentieren lassen, die anhand von Bewegungsmustern Emotionen erkennen und darauf basierend Werbung anpassen. Cisco bewirbt seine „Enterprise WiFi Motion“-Technologie offen als Werkzeug zur Überwachung von Büroflächen – angeblich zur Optimierung der Raumauslastung, doch die gleiche Technik könnte genauso gut Arbeitnehmer überwachen.
- Ein Paradies für Datenkraken und Versicherungern
Besonders alarmierend ist das Interesse von Versicherungsunternehmen an WLAN-Sensing-Daten. Erste Pilotprojekte testen bereits Tarife, die Bewegungsdaten zur „Risikobewertung“ nutzen. Ein älterer Mensch, der nachts häufig aufsteht, könnte plötzlich höhere Prämien zahlen. Ein Arbeitnehmer, dessen Bewegungsmuster auf Stress hindeuten, könnte als „Risikofall“ eingestuft werden.
Doch nicht nur kommerzielle Unternehmen nutzen die Technologie. Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste haben erkannt, dass WLAN-Sensing eine perfekte Lösung für verdeckte Überwachung bietet – ohne dass Zielpersonen davon erfahren oder spezielle Geräte installiert werden müssen.
Die rechtliche Grauzone
- Das Schlupfloch der DSGVO
Einer der größten Skandale im Zusammenhang mit WLAN-Sensing ist die rechtliche Grauzone, in der es operiert. Die Technologie fällt oft durch die Maschen des Datenschutzes, weil die Daten als „nicht personenbezogen“ klassifiziert werden – schließlich werden keine direkten biometrischen Daten wie Gesichter erfasst.
Doch diese Argumentation ist trügerisch. Studien zeigen, dass sich Personen anhand ihrer Bewegungsmuster mit über 90%iger Genauigkeit identifizieren lassen. Die TU Darmstadt demonstrierte, dass selbst verschiedene Familienmitglieder in einem Haushalt anhand ihrer Gangmuster unterschieden werden können.
- Fehlende Transparenz und Kontrolle
Noch problematischer ist die Tatsache, dass viele Router WLAN-Sensing standardmäßig aktivieren – ohne die Nutzer darüber zu informieren oder eine einfache Deaktivierungsmöglichkeit anzubieten. Untersuchungen zeigen, dass über 75% der getesteten Geräte diese Funktion eingeschaltet haben, ohne explizite Zustimmung der Besitzer.
Die Wi-Fi Alliance, ein einflussreicher Lobbyverband der Industrie, setzt sich aktiv dafür ein, dass WLAN-Sensing von strengeren Regulierungen ausgenommen wird – unter dem Deckmantel der „Innovationsförderung“. Gleichzeitig drängen die gleichen Unternehmen die Technologie in immer mehr Geräte, von Routern über Smart-TVs bis hin zu intelligenten Glühbirnen.
Praktische Schutzmaßnahmen für Betroffene
- Technische Gegenmaßnahmen
Glücklicherweise gibt es Möglichkeiten, sich gegen unerwünschtes WLAN-Sensing zu wehren. Die effektivsten Methoden sind:
- Router-Hardware wechseln: Geräte mit alternativen Betriebssystemen wie OpenWRT oder DD-WRT erlauben es, WLAN-Sensing komplett zu deaktivieren. Bei vielen kommerziellen Routern wie Fritz!Boxen ist diese Option bewusst versteckt oder gar nicht vorhanden 3.
- Gezielte Signalstörung: Spezielle Abschirmmaterialien wie LambdaShield-Folien können die Reichweite von WLAN-Signalen gezielt reduzieren – besonders sinnvoll für Schlafzimmer oder Homeoffice-Bereiche, wo Privatsphäre besonders wichtig ist.
- Segmentierung des Netzwerks: Durch die Einrichtung separater Netzwerke für IoT-Geräte und persönliche Geräte lässt sich das Risiko minimiert, dass Bewegungsdaten mit anderen persönlichen Informationen verknüpft werden.
Politisches Engagement
Technische Lösungen allein reichen nicht aus. WLAN-Sensing ist ein strukturelles Problem, das strukturelle Antworten erfordert. Organisationen wie der Chaos Computer Club oder Digitalcourage setzen sich für strengere Regulierung ein. Ihre Forderungen umfassen:
- Klare Kennzeichnungspflicht für Geräte mit WLAN-Sensing-Funktionen
- Verbot der heimlichen Aktivierung ohne ausdrückliche Zustimmung
- Eindeutige Klassifizierung von Bewegungsprofilen als personenbezogene Daten
- Recht auf vollständige Deaktivierung der Funktionen
Die unsichtbare Gefahr in unseren Wänden
WLAN-Sensing ist kein dystopisches Zukunftsszenario, sondern bereits heute in Millionen Haushalten Realität. Die Technologie bietet zweifellos nützliche Anwendungen – von der Gesundheitsvorsorge bis zur Energieeffizienz. Doch das Missbrauchspotenzial ist enorm, und die aktuellen Regulierungen sind völlig unzureichend.
Was wir brauchen, ist eine breite gesellschaftliche Debatte über die Grenzen dieser Überwachungstechnologie. Denn die Frage ist nicht, ob WLAN-Sensing nützlich sein kann, sondern wer die Kontrolle darüber hat – die Nutzer oder diejenigen, die ihre intimsten Gewohnheiten zu Geld machen wollen.
Die Zeit zu handeln ist jetzt, bevor die unsichtbare Überwachung in unseren Wänden zur Normalität wird, gegen die sich niemand mehr wehrt. Denn wie der Informatiker Neal Patwari, einer der Pioniere der Technologie, warnt: „Was heute als praktische Funktion verkauft wird, könnte morgen zum perfekten Werkzeug der Massenüberwachung werden“.
Weitere Links zum Thema:
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11946332/
https://www.technologyreview.com/2024/02/27/1088154/wifi-sensing-tracking-movements
https://www.prosec-networks.com/blog/wifi-sensing-wie-nachrichtendienste-dich-ueberwachen-und-wie-pentester-diese-technik-nutzen/
https://www.originwirelessai.com/how-secure-is-wifi-sensing/