Der vergessene Nachtrhythmus unserer Vorfahren


Es gibt eine fast in Vergessenheit geratene Art der Nachtruhe, die über viele Jahrhunderte hinweg der normale Weg war, mit der Dunkelheit umzugehen. In einer Zeit ohne elektrisches Licht und den ständigen Rhythmus der Moderne folgten die Menschen einem ganz anderen Schlafmuster. Die heute so oft propagierte Idee, acht Stunden am Stück zu schlummern, war unseren Vorfahren völlig unbekannt. Stattdessen teilte sich die Nacht in zwei deutlich voneinander getrennte Abschnitte, die als erster und zweiter Schlaf bezeichnet wurden.

Wenn die Nacht in zwei Teile fiel

Mit dem Untergang der Sonne und dem Eintauchen der Welt in tiefes, samtenes Dunkel endete der Tag deutlich früher, als wir es gewohnt sind. Die Menschen begaben sich zur Ruhe und überließen sich für mehrere Stunden dem ersten tiefen Schlaf. Nach etwa vier oder fünf Stunden jedoch wachten sie von selbst wieder auf. Dieses Erwachen war kein Zeichen von Schlaflosigkeit oder Unruhe, sondern ein fester Bestandteil des natürlichen Lebensrhythmus. Es markierte eine stille Pause mitten in der Finsternis, eine ganz private Welt zwischen den Schlafphasen.

Die stunden der stillen Zwischenzeit

Diese nächtliche Unterbrechung wurde keineswegs als lästig empfunden, sondern aktiv und oft gesellig genutzt. Bei flackerndem Kerzenlicht suchte man die Stille oder die leise Gesellschaft. Man nutzte diese Zeit für Gebete, das Lesen in gut erhaltenen Büchern oder auch für ein Glas gewürzten Wein. Es war nicht unüblich, in dieser Phase Nachbarn zu besuchen oder sich in der wohlig warmen Küche zu versammeln. Bei Tassen heißer Getränke wurden Geschichten erzählt und Gespräche geführt – ein intimer und entschleunigter Austausch im Herzschlag der Nacht.

Vom natürlichen Rhythmus zur durchgehenden Nachtruhe

Erst mit dem allmählichen Verschwinden dieser wachen Nachtstunde kehrten die Menschen zurück unter die Decken. Der zweite Schlaf umfing sie dann bis zum ersten Licht des Morgengrauens und dem vertrauten Ruf des Hahns. Dieser zweigeteilte Schlaf war über Jahrhunderte hinweg so selbstverständlich, dass er in privaten Tagebüchern, literarischen Werken und sogar medizinischen Ratgebern seiner Zeit Erwähnung fand. Die einschneidenden Veränderungen des 19. Jahrhunderts mit der Verbreitung von Gaslaternen, Fabrikarbeit und dem immer lauter werdenden Stadtleben ließen diese Praxis jedoch langsam verklingen. Die Nacht verlor ihre unangetastete Mitte, und der durchgehende Schlaf wurde zur neuen Norm.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts geriet das Wissen um diesen segmentierten Schlaf dann vollends in Vergessenheit. Was einst ein allgemein bekannter und akzeptierter Teil des menschlichen Daseins war, würde heute von vielen vielleicht fälschlicherweise als Schlafstörung interpretiert. Dabei handelte es sich einfach um eine andere, an den natürlichen Wechsel von Licht und Dunkelheit angepasste Art, die Nacht zu verbringen – ein Rhythmus, der in unseren Breitengraden über lange Zeit als die natürlichste Sache der Welt galt.

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